Denkmaltopographie Brandenburg, Bd. 1.1, 1994, S. 217 f.

Grundstück mit Braugerechtigkeit 1. Klasse. Die Bezeichnung geht auf die
Zeit König Friedrich Wilhelms I. zurück, als der Bau Herberge der
militärischen Boten (Ordonnanzen) war. Später Teil der im Rathaus
untergebrachten Barchent-Manufaktur. 1818 von der Stadt erworben und seit
1840 Armen-Arbeitsanstalt und städtisches Waisenhaus, dann Polizei, jetzt
durch Ratskeller, Reisebüro, Stadt- und Kreisbibliothek genutzt. Es ist
umstritten, ob der Bau ursprünglich ein reiches Patrizierhaus (Eichholz,
Grasow, Biller), das älteste Rathaus (Stiehl, Kolb, Tschirch) oder ein Kauf-
und Gildehaus (Wernicke) war.
Großer, zur Schusterstraße giebelständiger, zweigeschossiger Backsteinbau
(ca. 20,6 x 15,6 m) mit hohem Satteldach, ursprünglich rechte Traufseite zum
Markt freistehend (erst 1911-12 Verbindungsbau zum Rathaus errichtet).
Schauseite mit monumentalem Pfeilergiebel zur Schusterstraße gewandt.
Mehrere mittelalterliche Bauphasen lassen sich unterscheiden. Der um 1300
entstandene Kernbau umfaßt den westlichen Teil des Hauses. Erhalten sind
das Mauerwerk in Läufer-Läufer-Binder-Verband, ehem. durch schmale
Blenden mit Dreiecksabschluß bzw. Zwillingsblenden gegliedert, sowie Reste
des alten Nordgiebels (eckige Pfeiler mit Rundstäben an den Kanten,
einbezogen in den spätgotischen Giebel). Im mittleren 15. Jh. erfolgte ein
grundlegender Umbau des Hauses, verbunden mit einer Verbreiterung nach
Osten, dem Einbau von Gewölberäumen, einer Neugestaltung der Fassade
zur Schusterstraße, der Errichtung eines einfachen Südgiebels und des
Dachwerkes.
Etwas später kam auch der kleine Südanbau mit zwei Gewölberäumen hinzu.
Die Mauern der neuen Bauteile besitzen vor allem Läufer-Binder-Läufer-
Binder-Ziegelverband. Unter Einbeziehung von Resten des alten Giebels
Errichtung einer neuen Schauseite zur Schusterstraße. Giebel und
Obergeschoß werden durch mächtige, in kegelförmigen Aufsätzen endende
Rundpfeiler zusammengefaßt, Zwischenräume durch Spitzbogenblenden mit
Kehlen- bzw. Fasenprofil in fünf Achsen gegliedert, an Stelle der großen
Rechteckfenster ursprünglich wohl schmale Spitzbogenöffnungen (von
Eichholz an den Innenseiten nachgewiesen). Das sockelartig vortretende
Erdgeschoß (Giebelpfeiler ruhen auf der abschließenden Schräge) in seiner
jetzigen Gestalt mit den flachbogigen Öffnungen von Erneuerung Anfang des
20. Jh. geprägt, vorher Mauer in linker Achse zurückgesetzt und oberer
Vierpaßfries aus Formsteinen nur in den beiden rechten Achsen vorhanden,
altes Spitzbogenportal lag in zweiter Achse von links, gegenüber dem
jetzigen Eingang etwas nach rechts verschoben, und reichte bis an die
Schräge heran. Erstaunlich einfach der Südgiebel gehalten, Kreisblende in
der Giebelspitze, darunter gesinterte Ziegel in Rhombenform versetzt, im
unteren Teil Reste verschiedener Öffnungen oder Blenden und Strebepfeiler.
Erdgeschoß ursprünglich wohl mit großem, dielenartigem Hauptraum
(neuzeitlich verbaut). Im rechten Hausteil hintereinander drei Räume mit
Kreuzgewölben (ein- bzw. zweijochig, jetzt zu einem großen Raum vereinigt
und als Teil des Ratskellers vom übrigen Erdgeschoß abgetrennt).
Birnstabrippen über Konsolklötzen, Schlußsteine mit Männer- und
Frauenköpfen sowie Wappenschild. Nur dieser gewölbte Hausteil ist vorne
unterkellert, großer Raum mit Tonne rechtwinklig zur Schusterstraße,
ehemals zu erreichen über einen an der Straße entlanglaufenden Gang.
Mächtiges, kompliziertes Dachwerk aus verblatteten Hölzern, offenbar von
Anfang an für Ziegeldeckung angelegt. Dichte Sparrenkonstruktion mit
Kehlbalken in drei Lagen, unten ein doppelt stehender Stuhl,
Querverstrebung durch Scheren und Hochsäulen, Längsverstrebung durch
Riegel und Schwertlatten.
Wohl etwas später als der großzügige Ausbau des Hauses wurde ein Anbau
unbekannter Funktion auf der südwestlichen Giebelseite angefügt. Er enthält
im Erdgeschoß zwei kleine kreuzgewölbte Räume, Birnstabrippen und
Schlußsteine mit Maßwerkornamenten, Reste der mittelalterlichen
Ausmalung (rote Ranken auf den Schildbögen, grünes Blattwerk auf den
Kappen, dunkelgraue und rote Rippen, Fragmente figürlicher Malereien auf
den Wandflächen). Dieser Bauteil erhielt im 18. oder 19. Jh. ein
Obergeschoß mit Satteldach in gleicher Firstrichtung wie das Haupthaus.
In nachmittelalterlicher Zeit weitgehende Erneuerung der südöstlichen
Längswand sowie verschiedene Veränderungen im Inneren des
Ordonnanzhauses, u.a. 1840 (ehem. Inschrift). Im Zuge der Verbindung mit
dem Rathaus 1911-12 Umbaumaßnahmen, v.a. an der Fassade. Zunächst
ohne Portal, erst nachträglich das mittlere Fenster zum Eingang umgestaltet
(mit erhaltener reichdekorierter Eingangstür). Nach 1945 wurde das wertvolle
Gebäude durch unsensible Eingriffe (WC in gotischem Gewölberaum) und
Übernutzung gefährdet. 1992 Dachdeckung erneuert und ein neuzeitlicher
Hofanbau beseitigt.
Trotz späterer Eingriffe das besterhaltene und bedeutendste
Backsteinwohnhaus des Mittelalters in der Mark Brandenburg. Sonst fielen,
insbesondere die auch in anderen Städten nachweisbaren Schmuckgiebel,
den Erneuerungen des 18. bis 20. Jh. zum Opfer.
Literatur: Wernicke 1885, S. 275f.; Eichholz 1912, S. 179-183; Stiehl 1929, S.
67-69; Biller 1986; Fleege/Oeser 1992.