Denkmaltopographie Ostprignitz-Ruppin, Bd. 13.1, 1996, S. 50 ff.

Ehemalige Klosterkirche des 1246 gegründeten Dominikanerklosters.
Früheste gesicherte Niederlassung des Ordens in der Mark Brandenburg,
gestiftet durch Gebhard von Arnstein. Bis 1524 Grablege der Grafen von
Lindow-Ruppin. Das Kloster wurde unter seinem ersten Prior Wichmann von
Arnstein, Schulgründer und Verfasser zahlreicher Schriften, eine Stätte
mystischer Frömmigkeit und ein Zentrum von Bildung und Wissenschaft.
Bereits 1299 tagte hier ein Ordenskapitel der Dominikanerprovinz Teutonia,
die damals das gesamte Mitteleuropa umfaßte. Nach Einführung der
Reformation und Aufhebung des Klosters 1541 schenkte 1564 Kurfürst
Joachim II. die Gebäude der Stadt zur Einrichtung als Hospital. Die
Klosterkirche wurde evangelische Pfarrkirche St. Trinitatis mit Patronatsrecht
des Neuruppiner Magistrats. 1841 fand anläßlich der Wiedereinweihung die
Union von lutherischer und reformierter Gemeinde Neuruppins statt.
Die Kirche steht am südöstlichen Rand des Stadtkerns, nahe zum Seeufer,
nicht exakt geostet, sondern deutlich nach Nordosten verschoben. Sie ist
eine dreischiffige hochgotische Backsteinhalle mit gestrecktem, einschiffigem
Chor. Reste des spätromanischen Kernbaus sind in den Chorwänden
erhalten. Ursprünglich turmlos, erhielt die Kirche 1904-07 ein neogotisches
Turmpaar. Die nicht erhaltenen Klausurgebäude schlossen auf der Seeseite
der Kirche an. Drei zweigeschossige Backsteinflügel umgaben den
rechteckigen Kreuzhof. Die Gebäude wurden beim Brand 1465 zum Teil
zerstört, verfielen nach der Reformation zunehmend und wurden 1715 und
1816 (Westflügel) abgebrochen. Auf dem einstigen Klostergarten entstanden
1740 die Kasernenstubenhäuser (Berg- und Erich-Mühsam-Str.).
Baubeginn vor der Mitte des 13. Jh. Die erste Kirche vermutlich ein
rechteckiger ungewölbter Backsteinsaal in spätromanischen Formen. 1256
hier Beisetzung des Stifters Gebhard von Arnstein, dem 1270 Wichmann von
Arnstein folgt. Im letzten Viertel des 13. Jh. Erweiterung der Kirche nach
Westen als dreischiffige, fünfjochige Halle und Umwandlung der bisherigen
Kirche zum Chor. Um 1300 Chorpolygon angefügt und gesamter Chor
gewölbt. Nach Brand 1465-88 Erneuerung von Dach und Dachreiter durch
Meister Paul aus Brandenburg. 1564 Wiederherstellungsarbeiten und
Neuweihe zur evangelischen Pfarrkirche. 1693/94 Erneuerung des
Dachreiters; dieser 1752 durch hölzernen Westturm ersetzt. 1719 Kirche
innen ausgeputzt. 1836-41 umfassende Restaurierung durch Carl Wilhelm
Redtel nach Angaben von Karl Friedrich Schinkel (Entwürfe um 1830). Dabei
Fensterrose über dem Nordportal, Pfeilerkapitelle und zahlreiche andere
Architekturdetails erneuert sowie mehrstufiger Dachreiter aufgesetzt (1882
beseitigt). 1841 Wiedereinweihung im Beisein König Friedrich Wilhelms IV.
1884 Konstituierung eines Turmbaukomitees. 1904-07 Errichtung des
neogotischen Turmpaars zwischen Chor und Langhaus nach Entwürfen von
Ludwig Dihm, Ausführung Martin Hirschberg, 1908 Einweihung. 1974-78
umfassende Restaurierung der Kirche. Dabei u.a. westliches Schiffsjoch
durch Glaswand abgetrennt und Raumfassung dem 19. Jh. angenähert.
Die insgesamt ca. 65 m lange Klosterkirche gliedert sich in einen gestreckten
einschiffigen Chor mit 7/12-Schluß und ein dreischiffiges Langhaus mit
querrechteckigen Mittelschiffsjochen und schmalen, längsrechteckigen
Seitenschiffsjochen. Dazwischen ragen zwei quadratische Türme auf. Das
Backsteinmauerwerk der Kirche besteht aus großformatigen Ziegeln, die in
wechselnden Rottönen gebrannt sind und einzelnen dunklen Steinen. An
einigen Stellen, besonders am Chorpolygon, sind Feldsteinsockel sichtbar.
Chor und Langhaus werden von steilen Satteldächern gedeckt. Das Äußere
wird bestimmt von schmalen, zweiteiligen Spitzbogenfenstern und schlanken
Strebepfeilern, die bis in zwei Drittel der Mauerhöhe reichen. Am Langhaus
besitzen sie fialenartige Aufsätze. Polygonale, turmartige Streben markieren
die Ecken des Langhauses. An dessen zur Stadt gerichteter Nordseite
befinden sich zwei gotische spitzbogige Säulenportale. Das linke, größere
fungiert als Hauptportal. Es wird von einem steilen Wimperg und einem
Kreisfenster mit Maßwerk betont. In den Längswänden des Chores haben
sich Teile des romanischen Ursprungsbaus erhalten. Deutliche Spuren dieser
ersten Bauphase sind ein Kreuzbogenfries und einstige Gewölbeanschlüsse
eines zweigeschossigen Kreuzgangflügels bzw. Klausurgebäudes an der
Seeseite. Das neogotische Turmpaar zwischen Langhaus und Chor setzt
dem langgestreckten mittelalterlichen Bau seine Höhenwirkung entgegen.
Der aus Blendbögen und Friesen bestehende Schmuck steigert sich mit
zunehmender Turmhöhe. Verschieferte Faltdächer bilden die weithin
sichtbaren Abschlüsse. Das weiträumige Innere der dreischiffigen,
fünfjochigen Langhaushalle mit breitem Mittelschiff und schmalen
Seitenschiffen wird bestimmt durch kräftige Rundpfeiler mit jeweils vier
Runddiensten. Auf diesen sowie schlanken Runddiensten an den Wänden
ruhen die Kreuzgewölbe mit Birnstabrippen. Im Chor werden die Dienste
durch Konsolen abgefangen, da sich hier das Gestühl der Mönche befand.
Die Kapitelle der Runddienste und der Gewölbeschlußsteine besitzen
zumeist aus Blattwerk bestehenden Bauschmuck. Der Fußboden ist mit
Terrakottaplatten ausgelegt. In der Nordwand des Langhauses befinden sich
drei spitzbogige Nischen. Bis 1974 war eine Westempore mit neogotischem
Orgelprospekt von 1844 vorhanden. Der Beginn des leicht erhöhten
Chorraumes wird an den Seiten durch die moderne Orgel und die Kanzel
markiert. Die Fensterlosigkeit der Chorsüdwand rührt von den einst hier
anschließenden Klostergebäuden her. Vor der vermauerten Pforte zur
Klausur stehen jetzt die Figuren der Maria und des Johannes. Daneben ist in
die Wand eine Sitznische (»Priesternische«) unter einem Kleeblattbogen
eingelassen. Zwei großflächige Inschriften im oberen Bereich der Südwand
erinnern an die Übergabe der Kirche unter das Patronat des Neuruppiner
Magistrats 1564 und die 1841 beendete Restaurierung. Zentraler Blickpunkt
des Chores und des gesamten Kirchenraumes ist das hohe, farbig gefaßte
Altarretabel im hell ausgeleuchteten Chorpolygon. Bedeutende Teile des
mittelalterlichen, wohl nach 1465 entstandenen Dachwerks blieben auf dem
Langhaus erhalten. Es handelt sich um eine über dem Mittelschiff errichtete
Ständerkonstruktion, die in Querrichtung mittels durchgezapfter Ankerbalken
und Kopfbänder, in Längsrichtung durch Schwertungen gefestigt wird. Darauf
ruhen Dachbalken und Sparren, zusammengehalten durch angeblattete
Kehl- und Hahnenbalken. Die Seitenschiffe werden durch Aufschieblinge
überdeckt. Später erfolgten Erneuerungen und Verstärkungen von Teilen des
Dachwerks. Über dem östlichen Teil des Langhauses wurde im 19. Jh. eine
neue Konstruktion errichtet, im Gegensatz zu den mittelalterlichen Bereichen
mit auch über die Seitenschiffe reichenden Sparren sowie Stockwerks- statt
Ständerkonstruktionen. Ebenfalls aus dem 19. Jh. stammt das Chordach mit
Hängewerk.
Ausstattung
Altarretabel. Um 1400. Sandsteinaufbau mit Reliefs in zwei Zonen; unten
(v.l.) Anbetung der Könige, Kreuzigung Christi, Geburt Christi, oben (v.l.)
Darstellung Christi im Tempel, Marienkrönung, Auferstehung Christi. Die
Figurengruppen ursprünglich von Baldachinen überfangen. Farbfassung wohl
Anfang 20. Jh. Altarmensa und neogotische Umrahmung aus Stuckmarmor
(von der Restaurierung 1836-41). Das Retabel stilistisch zum Umkreis des
Havelberger Domlettners gehörig und in seiner Art nahezu einzigartig in
Brandenburg.
Standbild eines Dominikaners. Um 1370/80. Sandstein. In der
»Priesternische« aufgestellt. Die angeblich den Klostergründer Prior
Wichmann († 1270) darstellende Figur im Mönchsgewand mit Buch und
Stab. Stilistisch den Werken aus dem Umkreis des Severimeisters (v.a.
Erfurt) nahestehend. Ein Hauptwerk der Skulptur des 14. Jh. in der Mark. 4
Reliefs. Ende 14. Jh. Sandstein. Ursprünglich am nordöstlichen Treppenturm
angebracht, seit 1906 in Wände des Chorpolygons eingelassen.
Kreuzigungsgruppe, Pietà mit Stifterfigur, Marien- krönung, Christus mit 2
Heiligen. Durch Witterungseinflüsse stark beschädigt. Pietà. 2. Viertel 15. Jh.
Sandstein. 1996 restauriert.
Figuren der Maria und des Johannes. 2. Viertel 15. Jh. Holz. Aus einer
Triumphkreuzgruppe. Farbfassung 20. Jh.
Kruzifix. Um 1500. Holz. Aus der Siechenkapelle St. Lazarus. Qualitätvolle,
überlebensgroße Schnitzfigur. Farbfassung 1910.
Gemeindegestühl. Um 1836/41. Holz. Im Langhaus.
Gemälde. 1754 von Christian Bernhard Rode. Gleichnis vom verlorenen
Sohn.
Gemälde. 1853 von Wilhelm Gentz. Gestiftet 1866. Gastmahl im Hause des
Pharisäers Simon mit Fußwaschung Christi durch Maria Magdalena.
2 Gemälde. Gestiftet 1699 durch Valentin Schnackenburg (i). Ganzfigurige
Porträts von Martin Luther und Philipp Melanchthon.
Gemälde. 1910 von Ismael Gentz. Einweihung der Kirchtürme 1908
(Übergabe des Kirchenschlüssels an den Kronprinzen). In der Sakristei.
Glasfenster. Im Chorpolygon Darstellung des Jüngsten Gerichts, 1958 von
Gisela Heyer aus Neuruppin. Die Verglasungen im Oberlicht des
Hauptportals und in der Rosette darüber von der Restaurierung 1836-41.
Orgel. 1984 von der Firma Sauer in Frankfurt (Oder).
Mit ihren in den Langchor einbezogenen Resten vom spätromanischen
Kernbau stellt die Klosterkirche das älteste in Neuruppin erhaltene Bauwerk
dar. In ihrer um 1300 vollendeten Gestalt gehört sie zu den wertvollsten
Zeugnissen hochgotischer Architektur in der Mark Brandenburg und der
mittelalterlichen Bettelordens- Baukunst in Nordostdeutschland. Der
besondere Anspruch ihrer Erbauer wird deutlich an der Übernahme von
Elementen der Kathedralarchitektur (kantonierte Pfeiler, Chorpolygon) für
eine Hallenkirche der Bettelorden, vermittelt wohl durch westdeutsche
Ordenskirchen (z.B. Minoritenkirche Köln) und Chorin. Die Neuruppiner
Klosterkirche zählt zu den letzten Beispielen für die deutliche Übernahme von
Formen der Hausteinarchitektur in der Backsteinbaukunst, die in
komplizierter Weise aus Ton modelliert (Kapitelle usw.) oder aus
Formsteinen zusammengesetzt werden mußten (Pfeiler). In der Folgezeit
wurde eine Formreduzierung in der Bettelordensarchitektur üblich (vgl.
einfache Achteckpfeiler). Seit dem Mittelalter ein Zentrum religiösen Lebens
in der Mark, verkörpert die Klosterkirche wie kein anderes Bauwerk mehrere
Jahrhunderte Ruppiner Geschichte. Bereits früheste Stadtansichten belegen
die herausragende Bedeutung der Kirche für das Stadtbild, vor allem beim
Blick vom Ruppiner See. Der Wahrzeichencharakter wurde durch das
markante neogotische Turmpaar noch gesteigert.
Literatur: A. F. Riedel, Geschichte d. auf Befehl seiner Majestät d. Kg. Friedr.
Wilh. III. wiederhergestellten Klosterkirche u. d. ehem. Dominikaner- Mönchs-
Klosters z. Neuruppin, Neuruppin (1842); Adler 1862, Taf. 74; Fontane,
Grafschaft Ruppin (1862), S. 55-57; Heydemann 1863, S. 188-213; Bergau
1885, S. 647f.; Bittkau 1887, S. 44-46; G. Bittkau, Geschichte d.
Klosterkirche z. Neuruppin, Neuruppin 1908; L. Dihm, Die Türme d.
Klosterkirche i. Neu-Ruppin, 1908; Inventar 1914, S. 299-310; G. Müller, Die
Dominikanerklöster d. ehem. Ordensnation »Mark Brandenburg«, 1914, S.
21-66; J. Schultze, Der Abbruch d. Dominikanerklosters u. d. Kuhburg 1716,
1931; G. Wentz, Das Bistum Havelberg, Berlin/Leipzig 1933, S. 350-360; H.
Kania/H.-H. Möller, Mark Brandenburg (= Schinkel Lebenswerk), Berlin 1960,
S. 261-265; Kurztopographie 1978, S. 234f.; Ruppiner Land 1981, S. 123f.;
E. Badstübner, Stadtkirchen d. Mark Brandenburg, Berlin 1982, S. 114f. u.
193; H. J. Böker, Die mittelalterl. Backsteinarchitektur Norddeutschlands,
Darmstadt 1988, S. 113f.; U. Creutz, Bibliographie d. ehem. Klöster u. Stifte,
Leipzig 21988, S. 168-175; Dehio 1988, S. 310-312; E. Debik, Martin
Hirschberg -Erbauer d. Türme d. Klosterkirche Neuruppin, 1995.