Denkmaltopographie Märkisch-Oderland, Bd. 9.1, 2005, S. 337 ff.

Die imposante Kirche mit hohem Westturm steht, etwas abgerückt von der
dörflichen Bebauung, am südlichen Ende des langgestreckten
Kolonistendorfes. Ihr Standort ist durch stattliche alte Linden und eine niedrige,
den westlichen Eingangsweg begrenzende Hecke, gestaltet. Östlich schließt
sich der Friedhof an, auf dem der sog. Friedensstein an die im Ersten Weltkrieg
gefallenen Dorfbewohner erinnert. Von Norden wird das Kirchenareal über die
Verlängerung der Dorfstraße erschlossen. Südlich grenzt es an die Feldflur an,
wo noch heute Sandwege die einzige Verbindung zu den umliegenden Dörfern
bilden.
Die besondere Lage der Kirche erklärt sich aus der ihr zugedachten Funktion
als Zentralkirche für die Orte Neurüdnitz, Neureetz, Neuranft, Neuwustrow und
Neuküstrinchen. Für jedes Dorf sollte der Weg der Gemeindemitglieder
ungefähr die gleiche Entfernung haben. Ende des 18. Jh. gehörten der
Parochie Neuküstrinchen als Filialen die Ortschaften Neulietzegöricke,
Neuwustrow, Adlig Reetz, Königlich Reetz, Neurüdnitz, Neukietz, Neutornow
und Neuglietzen an. Die Teilung der Parochie erfolgte ab 1845, so dass
zusammen mit Neulietzegöricke und Neutornow drei selbstständige Pfarrstellen
geschaffen wurden. Die Parochie Neuküstrinchen, die bis dahin der
Superintendentur Wriezen zugeordnet war, wurde mit der Neuordnung der
kirchlichen Verhältnisse der Ephorie Königsberg angeschlossen.
Baugeschichte
Zur Regierungszeit Friedrich II. war die Errichtung von drei Kirchenbauten in
den trockengelegten Gebieten geplant. Bereits 1760 sollte unweit von
Neuküstrinchen ein massiver Kirchenbau als lutherische und reformierte
Simultankirche für die Kolonistendörfer Neurüdnitz, Neukietz und
Neuküstrinchen entstehen. Ausgeführt wurde stattdessen eine auf Pfählen
gegründete Fachwerk-Saalkirche mit ausgemauerten Gefachen. Ihre
Fertigstellung zog sich auf Grund von Krieg und Geldmangel viele Jahre bis
1766 hin. Der 100 Fuß hohe Turm an der Längsseite blieb im Dachbereich
unfertig und musste, da bereits zwei Jahre später baufällig, wieder abgetragen
werden. Nach Plänen des Oberleutnants Isaak von Petri wurde schließlich ein
deutlich kleinerer Turm mit »Kuppeldach« errichtet. Im Mai 1775 berichtete der
damalige Prediger Schmitt, dass die Kirche fertig sei und zum öffentlichen
Gottesdienst brauchbar sei (a).
Dem rechteckigen Fachwerkbau waren jeweils mittig an den Längsseiten der
Turm mit Haupteingang sowie die Sakristei angefügt. Der einschiffige
Quersaal, der schon damals zum Gottesdienst beider protestantischer
Konfessionen bestimmt war, verfügte über ungefähr 400 Sitzplätze. 1791
erfolgte eine Erweiterung durch kleine Treppenhausanbauten mit
Nebeneingängen an den Schmalseiten und der Einbau weiterer Kirchensitze.
Das Gestühl war in fünf Blöcke eingeteilt und auf den zentral an der Längsseite
stehenden Kanzelaltar orientiert. Weitere Bankreihen befanden sich auf der
dreiseitig umlaufenden Empore. Während seines rund 100-jährigen Bestehens
musste das erste Kirchengebäude mehrfach Reparaturen unterzogen werden,
bevor es 1878 abgebrochen wurde.
Noch im gleichen Jahr begann man mit der Errichtung des neuen
Gotteshauses nach Entwürfen von Kreisbauinspektor Ruttkowski aus
Königsberg. An der Ausführung waren u.a. Maurermeister Wiechert aus
Oderberg, Tischlermeister Bölke aus Mohrin, Zimmermeister Gauert aus
Oderberg und Glasermeister Wernitz aus Neudamm beteiligt. Die Einweihung
erfolgte nach zweijähriger Bauzeit am 31.3.1880 (a).
Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs leitete die Wehrmacht vom
Kirchturm den Artilleriebeschuss in Richtung Oder. Als Folge der
Kampfhandlungen waren nicht nur umfangreiche Schäden am Kirchengebäude
zu beklagen, sondern auch der Verlust zahlreicher Unterlagen, u.a. der
Stiftungsurkunde der Kirche. Hinzu kam das Hochwasser von 1947, an das
noch heute die Wasserstands-Marke an der Wand des Turminnenraumes
erinnert. 1950 wurden Dachreparaturen durchgeführt; 1952 die Kirchenfenster
durch die Glasmalerin Katharina Peschel, Berlin-Mahlsdorf, wiederhergestellt.
1960 erhielt das Kirchendach anstatt der ehemaligen Biberschwanz-
Doppeldeckung eine Eindeckung mit Thüringer Schiefer. Aufwändige
Sanierungsarbeiten mussten 1982 aufgrund von Befall durch Hausschwamm
vorgenommen werden. Der Westgiebel des Langhauses wurde erneuert, das
an der Altarseite zerstörte Dach repariert und die angefügten Treppenhäuser
erhielten neue Dächer. 1996 erfolgte eine Neuausmalung des Innenraums.
Beschreibung
Etwa 40 m langer Sichtziegelbau auf kreuzförmigem Grundriss mit Sockel aus
gespaltenen Feldsteinen. Der Baukörper bestehend aus dreiachsigem
Langhaus, weit ausladendem Querhaus und Westturm. Das Langhaus
abgeschlossen von Satteldach; die Querhausarme mit Walmdächern versehen.
An der Ostseite Chor mit geradem Schluss und halbrunde Apsis mit
Kegeldach. Der Westturm auf quadratischer Grundfläche, leicht ins Langhaus
eingezogen und flankiert von niedrigeren Treppenhausanbauten. Die Fassaden
in neoromanischen Formen durch Lisenen und Rundbogenfriese gegliedert,
der Traufbereich durch abgetreppte Gesimse betont. Zur Belichtung des Lang-
und Querhauses dienen zweireihig übereinanderliegende Rundbogenfenster;
die oberen beträchtlich größer und durch Maßwerk gegliedert. In der Nord- und
Südwand des Chores Rosettenfenster, an den Treppenhausanbauten kleine,
zu Bändern zusammengefasste Rundbogenfenster; die fensterlose Apsis mit
Zwerggalerie unterhalb des Traufgesimses geschmückt. An der Westseite des
dreigeschossigen Turms übergiebeltes Hauptportal; seine zweiflügelige Tür
akzentuiert von rundbogigem Oberlicht mit Maßwerkgliederung, darüber
großes Rosettenfenster. Im zweiten Geschoss die Turmuhr, im dritten
Schallöffnungen in Form hoher, rundbogiger Maßwerkfenster zu allen vier
Seiten. Als Abschluss steiler, achtseitiger Spitzhelm mit Dreiecksgiebeln und
Schiefereindeckung.
Im Erdgeschoss des Turms eine Vorhalle. Der dahinter anschließende, fast wie
ein Zentralbau wirkende Kirchenraum bot ursprünglich 1.400 Sitzplätze.
Prägend für den Eindruck besonders die großen Rundbögen zu den
Querhausarmen, die dreiseitige Empore und das sichtbar belassene
Dachtragwerk, eine Pfettenkonstruktion. Seine mit Hängesäulen versehenen
Hauptgebinde durch aufgemalte bzw. gedrechselte Zierformen gestalterisch
betont. Der Triumphbogen zur halbrunden Apsis mit aufgemaltem Schriftzug
»Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch
erquicken!«. Die heutige Farbfassung des Kirchenraums in zartem Lindgrün
und Weiß mit hellblauen, hellbraunen und goldenen Gliederungen, 1996
erneuert in Anlehnung an die damals vorhandene Ausmalung. Von den jetzt
vorhandenen 1.200 Plätzen entfällt ca. die Hälfte auf die Querhausarme mit
eingestellten Holzemporen. Eine weitere von Holzstützen getragene Empore
an der Westseite nimmt die Orgel auf. Die Emporen sowie ein Großteil der
übrigen einheitlichen Ausstattung (Altar, Kanzel, Bänke) und des Inventars
stammen aus der Bauzeit der Kirche.
Ausstattung
Altar. 1880, Naturstein. Die Front mit Blendbogengliederung.
Kruzifixus. 1887, Marmorkorpus. Th. Littke Berlin (i). Rückseitig auf Tür »Dem
Andenken an Auguste Bruchmüller«; in der Öffnung von der Kaiserin Auguste
Viktoria unterzeichnete Stiftungsurkunde mit folgendem Wortlaut: »Diplom – In
Anerkennung vierzigjähriger treuer Dienste verliehen an Caroline Wilhelmine
Auguste Bruchmüller gebürtig in Neu Riednitz, wohnhaft in Berlin. Berlin, den
16ten März 1880. Auguste Deutsche Kaiserin Königin von Preußen«.
Taufe. Nach 1945, Kunststein. Achteckiger Standfuß, das Becken mit Inschrift
»Lasset die Kindlein zu mir kommen«.
Kanzel. 1880, Holz. Blendbogengliederung, darüber achteckiger Schalldeckel
an Deckenaufhängung.
Orgel. 1911 von Werkstatt Sauer, Frankfurt (Oder). Dreiteiliger gotisierender
Prospekt mit Weinrankenfries, als Bekrönung ein Akanthusblattfries.
Emporen. 1880, Holz. Westempore und je eine Seitenempore in den beiden
Querhausarmen. Geschlossene Brüstungen mit Blendbogengliederung.
Kirchengestühl. 1880, Holz, Bankreihen in vier Blöcken.
Kronleuchter. 1879, Kupfer. Radleuchter mit Akanthusmotiven. Geschenk der
Familie Rissmann (i).
Drei Kriegergedenktafeln. 1816, Holz. Gedenktafeln für die Gefallenen der
Befreiungskriege aus Neurüdnitz, Neureetz und Neuwustrow.
Glocke. 1904, Bronze. Franz Schilling, Apolda. Eine zweite Glocke fiel dem
Zweiten Weltkrieg zum Opfer.
Turmuhr. 1903.
Bedeutung
Die außergewöhnlich stattliche Dorfkirche von Neuküstrinchen, die einst 1.400
Sitzplätze aufwies, ist allein durch ihre Dimensionen herausragend unter den
Sakralbauten der Region und wird deshalb auch als »Dom des Oderbruchs«
bezeichnet. Mit ihrem hohen Westturm bildet sie einen markanten Blick- und
Orientierungspunkt inmitten der flachen Bruchlandschaft. Auf Grund ihrer
ursprünglichen Funktion als zentrales Gotteshaus für fünf Kolonistendörfer und
als Simultankirche für zwei protestantische Konfessionen widerspiegelt sie die
Geschichte des Oderbruchs auf besonders typische Weise.
Quellen: BLHA, Pr. Br. Rep. 2, Kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer,
Nr. D 2956, 2957, 2963, 2970; Pr. Br. Rep. 3 B, Frankfurt/O. II,. Kreis
Königsberg, Nr. 31; Pr. Br. Rep. 7, Wriezen, Nr. 194, 237; Superintendentur
Seelow II K 511, 1.3.; GStA PK, 1 HA Rep. 76, 93; ELAB, 3/2-295, Kirchenkreis
Bad Freienwalde und 35 III a, k 31a Karton 38 und 338; BLDAM, Altakten,
Erfassungskartei.
Literatur: Schultze 1907, S. 32-36; Heimatkreis Königsberg 1997, S. 301-02;
BLDAM, Erfassungskartei; TU Berlin (Hg.), Der Dom des Oderbruchs, 1998
(Faltblatt); Dehio 2000, S. 702-03.