Denkmaltopographie Elbe-Elster, Bd. 7.1, 1998, S. 133 ff.

Ev. Stadtkirche St. Marien, bis zum 15.Jh. St. Nikolai. Stattliche spätgotische
Backsteinhalle mit verschliffenem polygonal gebrochenen Ostschluss,
Westturm und polygonaler Fronleichnamskapelle auf der Nordseite des
Chors; bedeutend vor allem die vollständig erhaltenen spätgotischen
Gewölbemalereien.
Baugeschichte. Die sechsjochige Halle in zwei deutlich geschiedenen
Abschnitten errichtet, die sich bei wesentlich einheitlichem Gesamtplan
außen wie innen an den Einzelformen und bis in das Dachwerk hinein
abzeichnen. Der ältere Teil die dreijochige Chorpartie einschließlich der
nördl. anschließenden Fronleichnamskapelle. Baubeginn vermutlich gegen
M. 14. Jh., die drei westl. Joche nach den Formen der Hausteinportale im 3.
V. 14. Jh. oder etwas später entstanden; 1377 Bauarbeiten urkundlich
belegt. Ausmalung der Gewölbe 1415/30. Der zuletzt (um 1360) errichtete
Westturm bereits 1483 abgebrannt und 1495 eingestürzt. 1562 in
veränderten Formen wiederhergestellt, später erhöht. – 1862–68
durchgreifende Rest.; dabei Anfügung der neugotischen Portalvorhallen an
den Langseiten und der beiden Treppentürmchen am Chorpolygon.
Abschluss der Rest. 2009 nach 18jähriger Bauzeit.
Der sparsam geschmückte Außenbau von einheitlicher Wirkung, die drei
Schiffe unter hohem, gemeinsamem Dach. Gestufte Strebepfeiler,auf der
Südseite am Übergang zwischen Chor und Westteil stärker ausgebildet;
zweibahnige, im Chor auch dreibahnige Spitzbogenfenster. Ihr Gewände in
den Chorjochen und auf der Nordseite der Westjoche doppelt abgetreppt
und von Spitzbogenblenden begleitet; auf der Südseite fehlen bei den westl.
Jochen die Blenden, die geschrägten Gewände hier glatt. Das
Sandsteinmaßwerk der Fenster 1864/68 erneuert nach Zeichnungen von F.
A. Stüler und Baurat Ritter; ebenso große Teile des Formsteinfrieses unter
dem Traufgesims. Im zweiten Joch von Westen nach Norden und Süden je
ein Sandsteinportal, im Norden das Gewände kräftig profiliert, im Süden
zarter mit Birnstab und Wulst zwischen Kehlen. – Der Westturm in
Mittelschiffsbreite zwischen niedrigeren Nebenräumen von Breite der
Seitenschiffe. Das Westportal mit überkreuzten Stäben vom Wiederaufbau
1562; damals das neue Obergeschoss des Turmmittelteils ins Oktogon
übergeführt, mit hohen spätgotischen Schallöffnungen; darüber Okuli. Das
1666/79 aufgesetzte oberste Geschoss ebenfalls oktogonal aber
einspringend, gegliedert durch rustizierte Pilaster. Haube und offene Laterne
von 1782. An der Nordwestecke des Turms unter dem hohen Gurtgesims
spätgotische Skulpturen vermauert, vermutlich von dem 1495 zerstörten
Westportal: törichte und kluge Jungfrau, ein Schmerzensmann, eine
Madonna und eine Schmerzensmutter.
Fronleichnamskapelle (auch Grochwitzer Kapelle). Zentralbau auf
verschobenem Sechseckgrundriss auf der Nordseite des Chors. Die
Einzelformen, Spitzbogenfenster mit profiliertem Gewände und
Vierpassfries, entsprechen denen des Hauptbaus. Das Obergeschoss mit
breiten Rundbogenfenstern um 1500 auf die Außenwände der Nischen
gesetzt, das dritte Geschoss über dem nördl. Teil mit stichbogigen Blenden
und Giebeln, 17.Jh.
Innen
Lichte, wohlproportionierte Halle; die Holzeinbauten von 1862/68. Das
Mittelschiff aus querrechteckigen Jochen breiter als die Seitenschiffe mit
etwa quadratischen Jochfeldern. Kräftige, gestufte Spitzbogenarkaden auf
Achteckpfeilern mit schmalen Kämpfern, die ebenso wie die flachen Sockel
aus Sandstein gearbeitet sind. Das vierte Pfeilerpaar von Osten mehr als
doppelt so stark wie die übrigen und durch Vorlagen für einen breiten
Gurtbogen fast kreuzförmig: hier endet der Chorbereich und zugleich der
erste Bauabschnitt. Die Wände und der Sockelbereich durch Nischen
gegliedert. Das Netzgewölbe des Mittelschiffs gebildet aus Parallelrippen mit
Birnstabprofilen nach Vorbild des 1386 vollendeten Prager Domchors, davon
abweichend ist im Westteil die Gurtrippe auch im Gewölbescheitel
durchgeführt. Die Rippen sitzen unmittelbar auf den Pfeilerkämpfern auf, an
den Chorwänden auf kräftigen Runddiensten mit flach dekorierten Kapitellen,
im Langhaus auf rechteckigen Vorlagen. Im nach 1495 erneuerten Westjoch
reliefierte Schlusssteine: Evangelistensymbole, Vera Icon, Agnus Dei und
Wappen. In den Seitenschiffen vierteilige Sterngewölbe, der Stern im
nordwestl. Joch des Chors reicher. – Im südl. Turmseitenraum ehem.
gewölbte Kapelle (16.Jh.); eine ältere ehem. Außenwandmalerei mit
Christusdarstellung eines Jüngstes Gerichts freigelegt. Gewölbemalereien.
Entsprechend dem Baufortgang in zwei Abschnitten entstanden, in den
Ostjochen um 1415, in den Westjochen um 1430 beg. Die Erhaltung der
Malereien von Schinkel (1835) und F. v. Quast (1857) befürwortet, rest. 1864
durch den Herzberger Maler Roth. Die nahezu unverfälscht erhaltenen
Malereien von 1990er Jahren bis 2006 konserviert. – Im Mittelschiff figürliche
Motive, in den Seitenschiffen stilisierte große Blüten und Blattwerk. Die
Malereien im Chor unter dem Einfluss der böhmischen Bildkunst der Zeit um
1400, in lichten Farben konturenbetont wie schwebend in die
Gewölbekappen gesetzt. Im jüngeren westl. Teil die Gesichter und die
Statuarik steifer, die Farben schwerer, wärmer und voller, der Stil insgesamt
kompakter, kompositorisch dem Tafelbild näher stehend durch die Bindung
der Figuren an einen Untergrund, oft gemalte Rippen. Im Chor Themenkreis
des Jüngsten Gerichts, im Westen mariologisches Programm. Im Zentrum
des Ostjochs Christus als Weltenrichter, umgeben von den
Evangelistensymbolen mit Posaunenengeln und einer fürbittenden Maria
sowie von Szenen mit Verdammten und Erlösten. Im Chorpolygon Apostel,
im zweiten Joch das Lamm Gottes, umrahmt von Erzvätern,
alttestamentlichen Königen und Propheten, dazu ein weiterer Apostel und
die Verkündigung an die Hirten. Der wohl zum Herablassen der Heilig-Geist-
Taube verwendete Ringschlussstein im dritten Joch umgeben von vier
Engeln mit Weihrauchfässern. Im West-teil die wichtigsten Szenen in den
seitlichen Feldern: Verheißung des Messias, Verkündigung und Geburt
Christi sowie Maria und Christus thronend. Dazu musizierende Engel,
Propheten und die hll. Nikolaus und Veronika. Im durch den Turmeinsturz
1495 beschädigten Westjoch die Malerei erneuert 1709/10, vermutlich von
M. A. Siebenhaar aus Wittenberg, Erzengel Michael als Drachentöter. – Am
schweren Gurtbogen zwischen Chor und Langhaus die Wappen der
kursächsischen Territorien.
Chorfenster. 1902 von der Hofglasmalerei F. Riess (Dessau) mit
Darstellungen aus dem Leben Jesu.
Fronleichnamskapelle. Zentralraum mit Kranz von sechs rechteckigen
Nischen, davon fünf kapellenartig mit Altarstellen, die sechste Zugang vom
Kirchenschiff aus. Die gedrückten Proportionen durch Erhöhung des
Fußbodens verursacht. Im Mittelraum sechsteiliges Gewölbe ohne
Schlussstein. Die Birnstabrippen durch schlanke Halbsäulen vorbereitet, am
Gewölbeansatz kleine, rundbogig geschlossene Terrakottareliefs, u. a. der
Evangelistensymbole. Die radialen, zum Hauptraum durch schwere
Spitzbogenarkaden geöffneten Rechteckkapellen mit unregelmäßigen
Kreuzgratgewölben. – Das von der Empore zugängliche Obergeschoss mit
seinem verschoben sternförmigem Zellengewölbe 1698 zur Patronatsloge
ausgebaut. – In den drei nördl. Erdgeschossfenstern zwölf figürliche
Farbverglasungen, E.14. und 15. Jh., u. a. Szenen aus der Jugend und
Passion Christi; hierher versetzt 1901 aus dem Achsfenster des Chors, wo v.
Quast 1864/66 die verbliebenen mittelalterlichen Scheiben der Kirche
versammelt hatte. – Pokalförmiger Taufstein, um 1800 mit
festongeschmückter Kuppa.
Ausstattung. Hohes steinernes Altarretabel, inschriftlich 1765 von Bildhauer
H. G. Mertz und Zimmermann Steinhauer, beide aus Torgau: großes
Ölbergrelief, vor den rahmenden Pilastern die Freifiguren Moses und
Johannes d.T., über dem Gebälk Gottvater mit Buch. Kanzel aus Sandstein,
dat. 1658 (Stiftungsinschrift über der Aufgangstür), wahrscheinlich von A.
Schultze aus Torgau. Lebensgroße Paulusfigur als Kanzelträger, an der
Brüstung des polygonalen Korbs Christus und die vier Evangelisten
zwischen Apostelhermen. Die Kanzeltür in Knorpelwerkrahmung, seitlichen
Ovalmedaillons, auf dem Türblatt zwei Grisaillen des 18.Jh., Christus und
Petrus. Der hölzerne Schalldeckel bekrönt von Christus als Weltenrichter mit
Schwert und Blitzen über dem liegenden Teufel. Prachtvoller Taufstein aus
Serpentin in Form eines Kelchs mit Nodus und oktogonaler Deckplatte, bez.
und dat. E. Weißbach aus Zöblitz, 1624. Zwei Ölbilder, 17.Jh., Kreuzigung
und Christus lehrt im Tempel. Zwei lebensgroße Gemälde, Luther und
Melanchthon, E.16.Jh., beschädigt. Ehem. Altargitter, Schmiedeeisen
inschriftlich 1769 von Schlossermeister Dobe, seit 1864 in der Turmhalle.
Allianzwappen Carl Gottlob Römer, E.17.Jh., über der Patronatsloge.
Allianzwappen. Holz, M.18.Jh., nördl. Empore.
Grabmäler. Figürlicher Grabstein für Margaretha v. Wuthenau mit zwei
Töchtern, 1585. – Grabmal für Hedwig Schröter, Tochter des Bürgermeisters
Teuffel († 1652), die Vitentafel von korinthischen Säulen mit
Knorpelwerkwangen gerahmt, vermutlich Arbeit von A. Schultze (beide an
der Chorsüdwand). – Sandsteinepitaph für Bürgermeister Johann George
Lindner († 1772), über der Vita Krone und Engelsköpfe (südwestl. Pfeiler). –
Außen auf der Südseite ganzfiguriger Reliefgrabstein für Joachim v.
Wuthenau († 1614), mit Wappen. An der Nordwand Grabsteine für
Bürgermeister Johann Georg Meysel († 1731) und Ehefrau, für Johann
Gottfried Meysel und Ehefrau, 1761, mit umkränzter Schale und
Flammenvase auf quadratischem Sockel.