Dehio Brandenburg, 2012, S. 1174 f.

Bedeutende kreuzripengewölbte gotische Backsteinhallenkirche mit geradem
Ostschluss und westl. Breitturm; das anspruchsvolle Bauwerk sicherlich
durch Förderung der in der Burg residierenden Havelberger Bischöfe
ermöglicht.
Im Westbau vielleicht noch Reste eines nach 1240 (planmäßige Stadtanlage)
zu vermutenden Gründungsbaus; Ausbau zusammen mit dem vierjochigen
Langhaus nach der Grundrissgestaltung (queroblonge Joche im Mittelschiff,
längsoblonge in den Seitenschiffen) aber nicht vor E. 13. Jh. beg.;
Grabungen deuten auf einen urspr. einschiffigen, polygonal geschlossenen
Chor. Der frühgotische Ostgiebel unter dem gemeinsamen Dach erhalten.
Bis 1471(d) östl. erweitert um den dreischiffigen, gerade geschlossenen
fünfjochigen Hallenchor in der Flucht der Langhauswände. 1484 entstand die
Marienkapelle auf der Nordseite, 1498 die Südkapelle. Das ältere Langhaus
erhielt 1497(d) ein neues Dach; 1512/19 nach Brand durch Meister Christoph
von Lüneburg neu gewölbt und der beschädigte Westbau im oberen Teil
umgestaltet; über dem erhöhten Mittelteil mächtiger, annähernd
quadratischer Turm. 1704 an Stelle des zerstörten Turmhelms eine dreifach
gestufte geschwungene Haube mit offenen Laternen errichtet. Die Kirche
1843–46 rest.
Der blockhafte, bis auf schmale Ecklisenen weitgehend ungegliederte
Unterbau des Westturms breiter als das Langhaus, in den unteren Partien z.
T. aus Feldsteinquadern errichtet. Reich gegliedertes spitzbogiges
Westportal, wohl um 1300, in rechteckiger, Putzrücklage (A. 19. Jh.?) mit
Quaderung; im reichen Gewände Rund- und Profilstäbe mit
Knospenkapitellen, in den Archivolten Farbwechsel durch glasierte
Formsteine. Das Langhaus durch schmale Spitzbogenfenster mit schlicht
geschrägten Laibungen (Pfostenwerk erneuert) sowie schlanke, gestufte
Strebepfeiler gegliedert. Je ein Fenster der Langseiten vierteilig mit
profilierten Laibungen in 2.H. 15.Jh.? erneuert, ebenso nördl. Turmfenster.
Gitterfries von 1848 unter der Traufe 2009/10 entfernt und ein spätgotisches
Putzband rekonstruiert.
Die Wandflächen der spätgotischen Ostteile stärker aufgelöst durch größere,
drei- bis fünfteilige Fenster mit kräftig profiliertem Gewände. Die Ostwand
von sechseckigen Treppentürmchen mit Steinhelmen flankiert, als
Schaufassade gestaltet. Drei große Fenster zwischen stichbogigen Blenden.
Mächtiger, z. T. erneuerter Fialgiebel, gegliedert durch zwölf schlanke
Doppelblenden mit Formsteinstreifen. Das bauzeitliche nördl. Chorportal mit
reichem Gewände aus braun, grün und schwarz glasierten Formsteinen
sowie umgeführtem Taustab. Die ebenfalls bauzeitlichen Gewändeportale
der südl. Chorseite mit aufwendigem glasierten Reliefdekor in auffällig
retrospektiven Formen ausgeführt, durch Anbauten des späten 15. Jh.
verdeckt (Innen, Kapellen).
Auf der Nordseite zweigeschossige, zwei Joche tiefe Marienkapelle, ihre
Mauerflächen durch Rautenmuster aus Glasursteinen belebt. Stichbogige
Tür und Fenster, im Obergeschoss gedrückte zweiteilige Spitzbogenfenster.
Giebel mit ansteigenden Blenden. Die zwei Joche breite Südkapelle
(Untergeschoss Portalvorhalle, Sakristei) reich gegliedert mit drei- und
vierteiligen profilierten Fenstern und Rautenmustern aus dunkel glasierten
Backsteinen. Im Westjoch vielstufiges Spitzbogenportal in verputzter
Rahmung. Hoher, blendengeschmückter Zwillingsgiebel, die prächtige
Außenwirkung entschieden bereichernd.
Die lichte Turmhalle dreigliedrig und ungewölbt; die hohen
Raumkompartimente durch Spitzbogen zueinander und urspr. zur Kirche
geöffnet; jetzt durch Orgel und Emporenaufgänge verbaut. An einigen Stellen
freigelegt großflächige Wandmalereien, wohl 17.Jh. In der Laibung des
Durchgangs zur Kirche plastisches Weihekreuz mit Resten der alten
Fassung.
Das Kircheninnere trotz der gedrückten Proportionen weiträumig; die
angesichts der heterogenen Entstehung überraschend einheitliche Wirkung
verstärkt durch die weiße Tünche (1843/46) und die Einbauten des späten
19. Jh. (Hufeisenempore, Gestühl und Orgelprospekt). -
Kreuzrippengewölbte dreischiffige Halle mit leicht überhöhtem Mittelschiff. Im
Langhaus doppelt gestufte Kreuzpfeiler mit Halbsäulenvorlagen,
möglicherweise bei der Neueinwölbung A. 16. Jh. erneuert oder verändert.
Kapitellbänder mit variierenden, erhabenen Blatt- und Buckelmotiven, die
Gliederung der Pfeiler in den Arkaden fortgeführt. An den Längswänden
kräftige Halbrunddienste. Die Chorpfeiler schlanker und kämpferlos bis auf
Kapitelle unter den Gurtbögen des Mittelschiffs. Die Gewölbe einheitlich nach
Brand 1512 erneuert, Angleichung der Gurtbögen und Diagonalrippen zur
jochübergreifenden Raumverschleifung, z. T. im Widerspruch zur Form der
Stützen und der Wandvorlagen. In den westl. Jochen der Seitenschiffe Reste
der urspr. Wölbung mit kaum gebusten Kappen und schweren Bandrippen
erhalten. – Im mittleren Chorfenster gotisierende Glasmalerei von G. Müller,
1910.
Die zwei Joche tiefe Marienkapelle auf beiden Geschossen kreuzgewölbt, im
Untergeschoss über Maskenkonsolen. Dort das alte, mit schwarzen und
roten Glasursteinen geschmückte Nordportal, wohl M.15.Jh. Im Gewände
Wechsel von eingestellten Rund- und Profilstäben, in den Archivolten mit
aufgelegtem Blatt- und Rankenschmuck. Kapitellzone mit Palmetten.
Die helle Südkapelle im Obergeschoss weit zum Kirchenraum geöffnet, zarte
Rippenwölbung über kleinen Wandkonsolen. Das ebenfalls gewölbte
Untergeschoss in Portalvorhalle und Sakristei unterteilt, mit der Kirche durch
zwei reiche ehem. Außenportale aus der Bauzeit des Chors verbunden. Das
Gewände des rundbogigen Südportals aus grün, schwarz und rot glasierten
Formsteinen ähnlich dem Nordportal, das Blatt- und Rankenwerk aber
teigiger; die Bogenlaibung ungewöhnlich gestaltet mit 14 figürlichen
Reliefdarstellungen, darunter am Beginn Kreuzigung und Agnus Dei sowie
Einzug in Jerusalem (?), hl. Georg, Fischzug (?) und Tierdarstellungen
(Löwe, Adler, Pelikan). Das ebenfalls spätgotische Sakristeiportal (ehem.
Priesterpforte) spitzbogig kämpferlos, reiches Gewändes mit grünen und
roten Glasursteinen, am äußeren Wulst Rankenornamentik.
Ausstattung
Prächtiger Altaraufbau aus zwei spätgotischen, vermutlich seit 1846
übereinander angeordneten Schnitzaltären; damals den bekrönenden
neugotischen Maßwerkgiebel mit drei barocken Putten zugefügt und rest.
vom Berliner Bildhauer F. W. Holbein, erneut rest. 1964. – Besonders
eindrucksvoll der größere, untere Schnitzaltar, um 1530, aus der Werkstatt
des C. Berg, vielleicht von Lübecker Kaufleuten gestiftet, 1550 aus der
Heilig-Geist-Kirche hierher überführt. Der Mittelschrein dreiteilig mit reichen
Laubwerkfüllungen. Im apsisartig gestalteten Hauptfeld bewegte
Marienkrönung, seitlich Anna selbdritt und die hl. Dorothea (?) in gewölbten
Nischen. In den zweizonigen Flügeln zu Dreiergruppen geordnet die zwölf
Apostel in expressiv bewegter Haltung, gröbere Wiederholungen der Apostel
des Güstrower bzw. verschiedener Figuren des Odenser Schreins. Auf den
Außenseiten der beweglichen Flügel sowie auf den Standflügeln vier
vorzügliche Gemälde: Gnadenstuhl und Mondsichelmadonna zwischen den
hll. Georg und Christophorus, diese entfernt der Cranach-Schule verwandt.
Die Predella bemalt mit Christus und den vier Kirchenvätern. – Der kleinere
Schnitzaltar oben um 1520, ehem. in der Burgkapelle; im Mittelschrein
Madonna im Strahlenkranz zwischen den beiden Johannes unter
Gewölbebaldachin. In den Flügeln je vier Heilige in zwei Reihen unter
Rankenwerk. Auf der Predella Darstellung Christi Geburt zwischen
Schmerzensmann und hl. Andreas vor perspektivischen Landschafts- und
Architekturdarstellungen.
Schöne hölzerne Kanzel, dat. 1608, umgebaut und rest. 1674, 1776 sowie
1846 von F. W. Holbein, dabei vor allem der gewundene Aufgang erneuert.
Der polygonale Korb von Moseshalbfigur auf Konsole getragen, in den
Brüstungsfeldern Hochreliefs der Apostel mit reicher architektonischer
Rahmung zwischen Ecksäulchen. Auf dem Schalldeckel giebelähnliche
Aufsätze mit Reliefs der Evangelisten, dazwischen Figürchen der
Kardinaltugenden, in der Mitte oben offener Säulentempel mit Engeln,
bekrönt von Salvatorfigur. Unter dem Schalldeckel am Pfeiler kleines
barockes Gemälde der Himmelfahrt des Propheten Elias. - Schöne
manieristische Holztaufe in Kelchform, gestiftet 1634, mit Inschriftkartuschen
und drei auf die Taufe bezogenen Gemälden: Taufe Christi, Christus als
Kinderfreund, Heilung des Naaman im Jordan. Am Sockel Engelsköpfchen;
am hohen, von schlanker Statue Johannes d.T. bekröntem Deckel elegantes
Knorpelwerk, zwischen den in Fratzen auslaufenden Eckrippen sechs
geschnitzte musizierende Putten, Bronzegüsse des 16.Jh. nachahmend,
wohl von einem Orgelprospekt (drei davon erneuert). – Hölzernes
spätgotisches Sakramentshaus A.16.Jh., rest. 1911., urspr. mit fialartigem
Abschluss und bemalt; aus einem Stück gearbeitet der kurze gewundene
Schaft und das darauf sitzende, hohe quadratische Gehäuse mit drei
vergitterten kielbogigen Öffnungen; diese 1516 durch kupferbeschlagene
Türen verschlossen, die eine unvollständige Stiftungsinschrift tragen; über
den Türen sich durchdringende Kielbögen, in ihren Zwickeln reliefierte Engel
mit den Leidenswerkzeugen Christi. -Schöne Madonnenstatue mit dem einen
Vogel haltenden Jesusknaben (Kopf u.a. erneuert) und hoher,
ungewöhnlicher Krone, kurz vor 1400; qualitätvolle Sandsteinfigur stilistisch
verwandt den Skulpturen des Havelberger Lettners; vermutlich das einzige
erhaltene Stück aus einem Figurenzyklus der ehem. Burgkapelle. In der
Turmhalle überlebensgroße Bischofsfigur, Gipsnachbildung, das Original aus
einheimischem Eichenholz, 1293+/–10(d), jetzt im Märkischen Museum
Berlin. Hölzerne Figuren, David und zwei Engel, sp.17.Jh., an der Brüstung
der Orgelempore, wohl vom ehem. barocken Orgelprospekt. Drei
ganzfigurige Pastorenbildnisse in Lebensgröße, 1638, 1639 und nach 1738,
sowie zwei kleinere des 17. und 18. Jh. (eines in der Sakristei). Im Chor zwei
Wandarmleuchter, inschriftlich 1634, Messing. Drei Kronleuchter, inschriftlich
1690, Messing. Orgelprospekt 1845, F. H. Lütkemüller.
Grabmäler. An der nördl. Chorwand Doppelgrabstein für die beiden
Geistlichen Johannes Lutterow († 1422) und Nicolaus Henning mit
ganzfiguriger Ritzzeichnung unter Baldachinen, vormals als Altarmensa
benutzt. Daneben figürlicher Reliefgrabstein des Peter Rosenbergk († 1548).
An der Südwand Epitaph für Martin Heinrich und Gabriel Gottfried Luther (†
1699), laut Inschrift Nachkommen des Reformators; Sandsteinschrifttafel mit
Akanthusrahmung, Doppelmedaillon und Putten. Marmorgrabdenkmal für
Joachim Christoph Gabcke († 1772), säulengerahmte Inschrifttafel mit
Putten. Kleines Holzepitaph mit Bildnis des Gekreuzigten, 1693. In der
Südvorhalle Grabstein Friedrich Emanuel Schubart († 1784). Weitere
Grabsteine aus der 2.H. 18.Jh. außen an der Kirche, darunter an der
Nordkapelle für Maria Catharina Uhl († 1784) mit großer feinliniger
Inschriftkartusche.